- Weißraum
- - ein kleine aber gar nicht so unscheinbare Feinheit, die einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Wertigkeit von Inhalten hat und damit auch auf die Erwartungshaltung einem Objekt gegenüber
- - egal ob analog oder digital
- - Zunächst einmal: Mit der Farbe Weiß hat der Weißraum nichts zu tun.
- - Der Begriff kommt ursprünglich aus dem Druckgebiet und auf Papier war der freie Raum, um die Inhalte herum, typischerweise immer Weiß.
- - Daher spricht man auch von „Weißraum“, wenn der Inhalt schwarz, violett oder grün ist. Sogar ein Bild kann Weißraum sein.
- - Zunächst eine kleine Geschichte: Vor vielen Jahren führte ich einen Benchmark verschiedener Online Shops durch, um herauszufinden, die Preisauszeichnung unterschiedlichster Produkte gestaltet ist.
- - Dabei stellte sich schnell heraus, dass Premiummarken (z. B. im Bereich Luxus-Mode und -Accessoire, aber auch HiFi-Audio, Elektronik, Küchengeräte und Automobilhersteller) den Preis eines Produkts anders darstellen als Marken in niedrigeren Preissegmenten
- - In den meisten Online Shops sind Preise gut und sofort sichtbar zu erkennen. Verständlich, denn Nutzende wollen ja auch wissen, was sie für ihren Wunschartikel bezahlen müssen
- - Premiummarken zeigten Preise entweder gar nicht („Nur auf Anfrage“), nicht sofort erreichbar (nach mehreren Klicks, am Ende des Einkaufsprozesses) oder – wenn sofort sichtbar – dann ganz klein und dezent.
- - Stattdessen erhält die Produktdarstellung einen ganz großen Raum: Wir sehen alle Details, den Artikel aus verschiedenen Winkeln, meist ohne ablenkende Elemente und bisweilen sogar in sakral anmutender Schwebe-Erscheinung.
- - Wenig ablenkende Elemente drumherum, wenig Informationen (und wenn, dann erst nach Klick)
- - Die präsentierten Produkte wirken zwar „inszeniert“, aber nicht so, dass es bewusst auffällt – im Gegenteil, es passt, die Produkte erscheinen sehr edel und wecken ein Begehren.
- - Das haben wir dem Weißraum zu Verdanken
- - In diesen konkreten Beispielen entstand er, indem andere Informationen entfernt, versteckt oder verkleinert wurden (erinnert stark an die VVV-Methode von Maeda ;) LINK EINFÜGEN)
- - Weißraum begegnen wir natürlich nicht nur im Web. Er ist schon seit langer Zeit ein bewusstes Gestaltungsmittel von Designern und Architekten.
- - in der Architektur wird uns das vor allem bei Sakralbauten bewusst.
- - Beim Betreten des Petersdoms, im Vatikan, z. B. erstaunen wir beim Erfahren der Höhe, der prachtvollen Materialien (Gold und Marmor), der Einrichtung (inkl. Werke berühmter Künstler) und den großen Räumen. Mit jedem Schritt (der ein hörbares Echo erzeugt) spüren wir unsere Existenz und unsere Handlungen im Raum
- - so wird uns bei den ersten Schritten so bewusst, wie klein wir als einzelne Menschen doch sind – und wie groß und reich im Gegensatz der Glaube und die Kirche sind. Die Sakralität lässt uns unsere Profanität spüren.
- - (Nach einem ähnlichen Prinzip sind übrigens Museen auch aufgebaut)
- - Ein ähnliches Muster wiederholt sich auch in fast jedem Apple Store:
- - Große (hier: helle) Räume, viel Platz, prachtvolle Architektur (oftmals von Stararchitekten gebaut und auch bei älteren Gebäuden sind es solche mit Bedeutung), wertvolle Materialien (das Holz der Tische stammt von einem ganz speziellen Hersteller aus dem Schwarzwald und wird in allen Stores weltweit eingesetzt).
- - Nicht ohne Grund schauen immer noch viele, wenn sie gutes Design machen wollen, wie es Apple macht (was ehrlicherweise sehr kurz gedacht ist, aber dazu in einem anderen Artikel später mehr)
- - Schauen wir uns dagegen einen typischen deutschen Elektronikmarkt an, sind die Produkte dort so präsentiert:
- - [BILD zeigen]
- - Ein Artikel reiht sich an den nächsten, geht unter, ist gleichgestellt mit seinem Nachbarn, hat einen deutlich sichtbaren Preis.
- - Man will viel zeigen, aber damit wirkt die Präsentation „verramscht“. Es ist nicht still und wertvoll, wie im Petersdom – es ist laut und es ist billig.
- - ähnlich präsentieren sich auch die Marke ohnehin
- - Es sind deutliche Zeugnisse dafür, dass wir manchmal lieber Informationen wegnehmen (oder verstecken) sollten als neue hinzuzufügen
- - Aber Elektronikmärkte verkaufen ja auch Apple Produkte. Werden diese dann nicht ebenso in ihrer Wahrnehmung benachteiligt.
- - Nein. Apple weiß das. Ähnlich, wie es damals schon bei Intel war, indem Apple das Unternehmen aufforderte, bei einer Kooperation auch gleich das Logo zu überarbeiten, müssen auch Elektronikmärkte Apple Produkte in einem gesonderten Bereich und Aufmachung präsentieren.
- - So bleibt die Markenwahrnehmung weitgehend erhalten.
- - In der Typografie ist es übrigens ein sehr ähnliches Prinzip. Schon ein kurzer Absatz sieht „mit etwas Luft zwischen den Zeilen“ deutlich wertvoller und auch lesefreundlicher aus:
- - [BEISPIELBILD]
- - Das gilt genau so für ganze Absätze:
- - [BEISPIELBILD]
- - Weißraum hat auch für die Informationsverarbeitung enorme Vorteile.
- - Aus der Designpraxis kenne ich folgende Situation sehr gut: Nachdem eine Ansicht gestaltet ist, kommt es nachträglich noch zu Inhaltsanpassungen. Dann soll es doch ein längerer und ein zusätzlicher Text sein. Ein Bild soll auch noch rein und ebenso kleine Tooltips, die den Kontext besser erklären.
- - Weißraum stattdessen lenkt den Blick auf die wesentliche Information. Ja, wir brauchen damit mehr Platz. Ein Print-Prospekt, wird so vielleicht sogar doppelt so dick, wie er zuvor angedacht wurde. Aber das muss kein Nachteil sein, wenn der Prozess – der Durchlauf des interaktiven Systems – umso flüssiger ist.
- - Beispiel Google:
- - [Bildbeispiel]
- - wenige Informationen, nur ein Logo, ein Suchfeld und ein paar Links und Buttons
- - Kennt noch jemand diese Suchanbieter?
- - [Bildbeispiel von Yahoo und Lycos]
- - Kein Wunder, dass sie sich in den Anfangsjahren des Internets nicht durchgesetzt haben
- - Wenn wir den Platz für die Inhalte bewusst ausdehnen (und damit z. B. auf mehrere Seiten erweitern), können wir auch mutiger mit anderen Elementen umgehen. So setzten wir beim Entwurf des CSR Berichts 2011 der Deutschen Bank bewusst auf große, platzeinnehmende Bilder. Wir hätten auf diese verzichten können oder sie kleiner darstellen können. Dann hätten zwei Seiten auf eine gepasst. Aber dieselbe Wirkung hätten wir damit nicht erreicht.
- - [LINK und BILDBEISPIEL ZEIGEN]
- - Weißraum ist damit nicht nur Schönheit, sondern auch ein sichtbares Beispiel – eine Geste – von Willen und Mut.
- - Ganz im Sinn meines letzten Artikels [LINK]: ein gar nicht immer sofort sichtbares Kommunikationsmittel mit großer Wirkung
- - Weißraum gestalten bedeutet auch Einfluss auf den Kontext eines Produkts zu nehmen. Es ist das Drumherum einer Sache, welches sowohl die Erwartung als auch die Erfahrung eines interaktiven Systems maßgeblich beeinflusst.